Reisebericht ARTE Italien 2023
Lost Places in Italien – Zwischen Kamera und Kulturauftrag
Vom 14. bis 16. August 2023 reisten Luca und Kai gemeinsam mit dem Kultursender ARTE nach Italien. Im Rahmen der TV-Sendung TWIST (Folge 122: „Lost Places Italien – Retten oder verfallen lassen?“) entstand ein intensives Porträt über den Umgang mit verlassenen Orten im Süden Europas – mitten im Hochsommer, bei über 35 Grad.
Obwohl die Reise in Genua begann, spielte sich das Herzstück der Dreharbeiten im kleinen, fast vergessenen Ort Strevi ab. Ein Ort, der sinnbildlich steht für viele Fragen, die ARTE aufwarf: Was geschieht mit den Relikten der Vergangenheit? Lohnt es sich, sie zu retten – oder soll man sie dem Verfall überlassen?


Tag 1
Zwischen Ankunft und Ewigkeit
Am Morgen des 14. August 2023 trafen wir uns am Münchner Flughafen mit der Crew von ARTE. Ziel war ein gemeinsames Projekt im Rahmen der Sendung TWIST, das sich mit verlassenen Orten und ihrem kulturellen Wert befasst. Um 11:35 Uhr landeten wir in Genua – bei sengender Hitze und strahlend blauem Himmel.
Noch am Flughafen trennten sich tagsüber unsere Wege: Während die ARTE-Crew ihrem organisatorischen Ablauf folgte, übernahmen wir unseren Mietwagen, kauften Wasser und Verpflegung in einem kleinen Supermarkt – bewusst viel Flüssigkeit, denn die Temperaturen lagen deutlich über 35 Grad.
Unser erstes Ziel: der Monumentalfriedhof Staglieno in Genua – ein Ort, der uns seit Jahren begleitet. 2019 besuchten wir ihn zum ersten Mal, und seither kehren wir immer wieder dorthin zurück. Nicht nur wegen seiner Größe und Geschichte, sondern wegen der stillen Schönheit, die dieser Friedhof auf einzigartige Weise ausstrahlt.
Der 1851 eröffnete Friedhof zählt zu den bedeutendsten Friedhofsanlagen Europas und ist weltweit bekannt für seine monumentale Grabarchitektur und beeindruckenden Skulpturen. Über 33 Hektar erstrecken sich hier Gruften, Kolonnaden und Grabstätten, eingebettet in einen bewaldeten Hang. Prominente wie Giuseppe Mazzini, der Liedermacher Fabrizio De André oder auch der Fiat-Gründer Edoardo Agnelli fanden hier ihre letzte Ruhe.
Besonders markant ist die Mischung aus Neoklassizismus, Jugendstil und Realismus – Figuren, deren Mimik und Körperhaltung eine Tiefe ausdrücken, die weit über reine Symbolik hinausgeht. Verlassene Grabreihen, verwitterte Inschriften, moosbedeckte Engel – ein Lost Place der besonderen Art: kein Verfall durch Funktion, sondern durch Vergessen.
Wir verbrachten den gesamten Nachmittag bis in den Abend hinein auf dem Gelände. Wir dokumentierten Gruften, in denen Zeit und Natur ganze Arbeit geleistet hatten. Zerbrochene Scheiben, eingestürzte Decken, Grabplatten, die von Wurzeln angehoben wurden – unsere Kameras fingen ein, was das Auge oft nur flüchtig erfasst: Würde im Verfall.
Als die Sonne langsam hinter den Hügeln verschwand und die Schatten länger wurden, fuhren wir weiter nach Acqui Terme, einer kleinen Kurstadt im Piemont. In einer ruhigen Seitengasse trafen wir dort die ARTE-Crew in einem einfachen Restaurant. Bei Pasta und Bier besprachen wir den Ablauf des kommenden Tages – erste Spotideen in Strevi, organisatorische Details und technische Vorbereitungen.
Ein langer Tag ging zu Ende – getragen von Licht, Staub und der besonderen Stille eines Ortes, an dem Vergangenheit nicht verstaubt, sondern atmet.
Facts about italy
Tag 2
Filmrollen, Familiengeschichten und vergessene Stimmen
Am Morgen des 15. August 2023 begann der offizielle Drehtag mit dem ARTE-Team in Strevi, einer kleinen Gemeinde im Piemont. Dort trafen wir uns mit der Regisseurin, dem Kameramann und dem Tontechniker, die mit uns gemeinsam an einem Beitrag über verlorene Orte Italiens arbeiteten – für die ARTE-Kultursendung TWIST. Ebenfalls vor Ort: Frau Pellati, direkte Nachfahrin einer bedeutenden italienischen Familie, und zugleich Hüterin eines Ortes, der die Zeit in sich eingeschlossen hat: die Villa Pellati.
Die Villa wurde im 19. Jahrhundert von Nicola Pellati, einem international renommierten Geologen, erbaut. Pellati war Mitglied zahlreicher geowissenschaftlicher Ausschüsse und bekleidete diverse öffentliche Ämter. Für seine Verdienste wurde er mit hohen Auszeichnungen geehrt, darunter dem Großkreuz der Krone von Italien, dem Orden der Heiligen Maurizio und Lazarus sowie der französischen Ehrenlegion. Bis zu seinem Tod widmete er sich der geologischen Erkundung der ligurischen Alpen. Seine letzte Reise mit Domenico Zaccagna und Luigi Baldacci endete tragisch – Pellati kehrte nicht zurück.
Heute ist die Villa ein vergessenes Denkmal dieser Geschichte. Sie befindet sich in einem zunehmend fragilen Zustand, wird jedoch Stück für Stück von der Familie erhalten – mit Herzblut und in völliger Eigenleistung. Uns wurde für diesen Tag ein seltener Einblick gewährt: Die noch immer intakte Bibliothek, bestückt mit Pellatis Büchern und wissenschaftlichen Sammlungen, ließ uns in eine Zeit eintauchen, in der Wissen und Forscherdrang das Maß aller Dinge waren. In einem Nebenraum lagern geologische Fundstücke, katalogisiert und beschriftet – Zeugen eines Lebenswerks.
Der Dreh nahm fast den gesamten Tag ein. Zwischen Interviews, Kamerafahrten, Detailaufnahmen und Gesprächen mit Frau Pellati entstand ein Porträt, das mehr war als nur filmische Dokumentation. Es war ein Moment des Zuhörens, des Staunens, des Innehaltens. Ihre Erzählungen über die Geschichte ihrer Familie und den schleichenden Verfall des Gebäudes bewegten nicht nur uns, sondern auch das Filmteam. Schon beim Mittagessen – improvisiert in einem kleinen Nachbarort mit frischer Pizza, die wir auch für Frau Pellati mitbrachten – wurde klar: Dieser Ort trägt das Potenzial für eine ganze Sendung in sich.
Währenddessen dokumentierten wir das riesige, teils verwilderte Anwesen auch aus der Luft – mit der Drohne entstand ein Gesamtbild der einstigen Pracht, das aufzeigt, wie viel Schutz und Aufmerksamkeit dieses Kulturgut heute noch verdient.
Nach dem offiziellen Teil des Tages fuhren wir weiter – zu einem Ort, dessen Namen wir aus Gründen des Schutzes nicht öffentlich machen können: ein verlassenes Theater, das uns tief beeindruckte.
Das „Teatro Sociale“, entworfen von Architekt G.B. Gorresio, wurde 1851 eröffnet und war einst ein kultureller Mittelpunkt. Es verfügte über drei Ränge mit Logen, eine Empore für weniger wohlhabende Gäste und einen imposanten Vorhang mit Apollo und den Musen. Opern, Komödien, Konzerte und Ehrenabende gaben sich hier über Jahrzehnte hinweg die Klinke in die Hand. Doch mit dem Aufstieg des Kinos und dem Bau modernerer Säle wurde das Theater langsam vergessen. Der endgültige Einschnitt kam 1978: Ein extremer Schneefall brachte das Dach zum Einsturz. Seitdem liegt es still – verwachsen, verborgen, fast ausgelöscht.
Unsere Kameras fingen das ein, was vom Glanz übrig ist: rote Vorhänge, verstaubte Stuhlreihen, bröckelnder Stuck – ein letzter Vorhang, der nie wieder fällt.
Am Abend ließen wir den Tag in Mondovì ausklingen. Auf einem lokalen Kunsthandwerkermarkt kamen wir mit Künstlerinnen und Künstlern ins Gespräch, betrachteten Werke zwischen Tradition und Moderne – und genossen ein einfaches Abendessen unter freiem Himmel. Besonders eindrucksvoll: die Lichtinstallation, bei der historische Fassaden mit Farben und Animationen in Szene gesetzt wurden. Ein stiller Kontrast zum Verfall des Theaters – und zugleich ein Zeichen, dass Orte weiterleben, wenn man sie sichtbar macht.
Spätabends kehrten wir zurück nach Acqui Terme. Bei einem letzten Treffen mit dem ARTE-Team zogen wir Bilanz: ein Tag voller Geschichten, Eindrücke und unbeantworteter Fragen – genau wie es sein muss, wenn man sich auf die Spuren des Vergangenen begibt.
Tag 3

Rückflug & Heimspiel
Nach einem letzten gemeinsamen Frühstück mit dem ARTE-Team in Acqui Terme ließen wir die vergangenen zwei Tage noch einmal Revue passieren. Die Gespräche drehten sich um die Eindrücke der Dreharbeiten, den Zustand der Villa Pellati, das Theater – und um die Kraft von Orten, die eigentlich längst verloren geglaubt sind.
Gegen Mittag machten wir uns gemeinsam auf den Weg zurück zum Flughafen in Genua. Um 13 Uhr hob unsere Maschine ab – zurück nach Deutschland, doch ein „normaler Alltag“ wartet auf uns nicht. Denn kaum gelandet, ging es direkt weiter nach Bochum, wo am selben Abend das Zeltfestival Ruhr startete – ein jährlicher Fixpunkt in unserem Kalender.
Dort bauten wir unseren Verkaufsstand auf, an dem wir wie jedes Jahr unsere Bilder und Geschichten präsentieren – direkt am Puls der Menschen, zwischen Musik, Kunsthandwerk und Kulturbegegnungen. Ein Kontrastprogramm, aber genau das macht es aus: Tagsüber noch zwischen verfallenen Logenplätzen und verstaubten Skulpturen, abends schon im Zeltlicht, im Gespräch mit Interessierten, Sammlern und Neugierigen.
Die Orte mögen sich ändern – doch die Geschichte geht weiter. Immer.
reportage auf arte

wissen ist macht
Diese alte Bibliothek ist ebenfalls ein Teil des Ortes, an dem wir in Italien mit ARTE gedreht haben. In dem Raum stehen viele alte Bücher in zwei Reihen, die immer mehr verwittern und verfallen, während die Decke bereits eingestürzt ist und das Wasser langsam den Boden der darunterliegenden Etage durchweicht. Ob es gelingen wird, dieses Anwesen zu retten? Das würde uns auf jeden Fall sehr glücklich stimmen. Hier wurden einige Verbesserungen vorgenommen, um den Text klarer und flüssiger zu gestalten. Wenn noch weitere Anpassungen erwünscht sind, lass es mich wissen!

nulla musica
In einer alten Villa in Italien entdeckten wir ein verlassenes Musikzimmer während der Dreharbeiten für eine Reportage mit ARTE. Das Zimmer war geprägt von einer beeindruckenden, aber verfallenen Atmosphäre. Auf einem barocken Sofa lag eine zerfetzte Gitarre, umgeben von Staub, der sich über die Jahre angesammelt hatte. Das Zimmer war einst das Zentrum des künstlerischen Lebens einer Familie. Einige Gemälde an den Wänden erinnerten an vergangene musikalische Aktivitäten. Die Szenerie strahlte Nostalgie aus, während die Geschichte der Villa und ihrer Bewohner in der Stille der vergangenen Tage ruhte. Unser Bericht brachte diesen vergessenen Erinnerungen für einen kurzen Moment Leben und Aufmerksamkeit, bevor sie wieder in der Stille der Zeit versanken.

little girl of sadness
Der Staglieno Friedhof in Genua ist immer einen Besuch wert. Selten haben wir einen so faszinierenden Friedhof wie diesen entdecken dürfen. Der Friedhof wirkt wie eine Kleinstadt. Man kann stundenlang laufen und man entdeckt immer wieder neue besondere Gruften oder Krypten die von der Größe her Einfamilienhäuser gleichen. Selbst eine eigene Buslinie bringt die Angehörigen zu den Gräbern.

look of sadness
Der Staglieno Friedhof in Genua ist immer einen Besuch wert. Selten haben wir einen so faszinierenden Friedhof wie diesen entdecken dürfen. Der Friedhof wirkt wie eine Kleinstadt. Man kann stundenlang laufen und man entdeckt immer wieder neue besondere Gruften oder Krypten die von der Größe her Einfamilienhäuser gleichen. Selbst eine eigene Buslinie bringt die Angehörigen zu den Gräbern.

there is always an angel at the end of the tunnel
Der Staglieno Friedhof in Genua ist immer einen Besuch wert. Selten haben wir einen so faszinierenden Friedhof wie diesen entdecken dürfen. Der Friedhof wirkt wie eine Kleinstadt. Man kann stundenlang laufen und man entdeckt immer wieder neue besondere Gruften oder Krypten die von der Größe her Einfamilienhäuser gleichen. Selbst eine eigene Buslinie bringt die Angehörigen zu den Gräbern.